Kommentar zur Vorführung von Sergej Eisensteins Alexander Newski im Babylon Berlin: Ein Propagandafilm am Gedenktag des Zweiten Weltkriegs
Vom Team des Ukrainischen Filmfestivals Berlin (UFFB)
14. Mai 2025
Am 10. und 11. Mai zeigte das Babylon Berlin Sergej Eisensteins Alexander Newski mit Live-Orchesterbegleitung und einem thematisch inszenierten Empfang mit Kasha und Wodka – als Feier zum Ende des Zweiten Weltkriegs.
Auch wenn die Veranstaltung als kulturelles Ereignis gedacht war, ist diese Programmwahl – gerade vor dem Hintergrund von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine – äußerst problematisch.
Alexander Newski ist kein neutraler Beitrag zur Filmgeschichte. Der Film wurde Ende der 1930er Jahre im Auftrag des Stalin-Regimes produziert – als gezieltes Propagandamittel zur Verherrlichung militärischer Macht der Sowjetunion. Er inszeniert Russen als eine vom Westen bedrohte Nation – im Film durch den Deutschen Orden. Zur Zeit der Entstehung spiegelte das die zunehmenden Spannungen zwischen der Sowjetunion und dem nationalsozialistischen Deutschland wider. Der Film erfüllte damals einen klaren politischen Zweck – und seine Erzählung klingt bis heute in der imperialistischen Rhetorik des Kremls nach.
Die Darstellung Russlands oder der Sowjetunion als Opfer westlicher Aggression in historischen Filmen ist ein narratives Muster, das sich seit einem Jahrhundert durch russische Propaganda zieht. Sie verdeckt die Realität eines imperialistischen Russlands, das immer wieder andere Länder überfällt – so auch aktuell in der Ukraine. Auch im Kontext des Zweiten Weltkriegs war die Sowjetunion nicht nur Verteidiger: Nur ein Jahr nach Veröffentlichung des Films unterzeichnete die Sowjetunion den Molotow-Ribbentrop-Pakt – ein Bündnis mit Nazi-Deutschland, das in sowjetischer und heutiger russischer Geschichtsschreibung oft verschwiegen wird.
Man könnte einwenden, auch die Ukraine sei Teil der Sowjetunion gewesen. Doch dies blendet aus, dass die Ukraine innerhalb dieser Struktur eine unterdrückte, kolonisierte Nation war. Sprache, Identität und politische Selbstbestimmung wurden systematisch marginalisiert. Wie in vielen Imperien waren auch in der UdSSR Karrieren oft nur durch Anpassung an das imperiale Zentrum möglich: durch den Umzug nach Moskau, das Erlernen der russischen Sprache und die Aufgabe der eigenen nationalen Identität. Diese Strategie wirkt bis heute im modernen Russland nach.
Die Vorführung eines solchen Films an einem Gedenktag – ohne kritische Einordnung – verstärkt Narrative, die bis heute zur Legitimierung von Gewalt und Krieg in Europa dienen.
Besonders schmerzhaft ist die Fortführung des Mythos, Russland habe den Faschismus im Alleingang besiegt. Damit werden die Beiträge und Opfer der vielen Völker der ehemaligen Sowjetunion – darunter Ukrainer*innen, Belaruss*innen, Zentralasiat*innen und viele andere – ausgeblendet, die mit zu den größten Verlusten im Krieg gezählt haben.
Der begleitende Empfang mit Wodka und Kasha verlieh dem Ganzen eine folkloristische, nostalgische Note, die in der aktuellen Lage völlig deplatziert wirkte. Während ukrainische Städte zerstört und Leben ausgelöscht werden, wirkt eine derartige Inszenierung sowjetischer Ästhetik nicht nur unsensibel, sondern geradezu befremdlich.
Wir erkennen die filmhistorische Bedeutung von Alexander Newski an. Doch künstlerische Qualität entbindet nicht von Verantwortung. Gerade an Gedenktagen braucht es ein reflektiertes Kulturprogramm – mit historischer Tiefe und einem Bewusstsein für politische Kontexte, damals wie heute. Ein offener Dialog – etwa durch moderierte Gespräche mit Historiker*innen und Filmexpert*innen – wäre dringend geboten.
Wir wünschen uns, dass zukünftige Veranstaltungen dieser Art mit mehr Sensibilität und inhaltlicher Einbettung kuratiert werden. Kulturinstitutionen möchten wir ermutigen, Räume für öffentliche Diskussionen über die Wirkung politisch aufgeladener Filme in der Gegenwart zu schaffen.
Erinnerung muss komplex sein dürfen – und Kulturinstitutionen sollten sie reflektiert begleiten, nicht nostalgisch verklären.